Das Stress-Essen: ein treuer Begleiter der Prüfungsphasen und Abschlussarbeiten

Gastbeitrag von Masterstudentin Olesia

Es ist allgemein bekannt, dass wir in Stressphasen besonders achtsam sein sollten, was wir zu uns nehmen. Ironischerweise ist das genau die Zeit, in der unsere Essgewohnheiten verrücktspielen und uns in eine völlig andere Richtung drängen.

Mein Kommilitone Stefan hatte genau das erlebt. In der ersten Hälfte seiner Prüfungszeit hatte er 4 kg zugenommen und fühlte sich nicht mehr wohl. Besonders beunruhigt war er, wenn er körperlich gar keinen Hunger mehr hatte, aber das Verlangen nach mehr Essen ihn einfach nicht in Ruhe lassen wollte. Er hatte ständig das Gefühl, dass er immer wieder zu süßen Snacks greifen musste, um weiter lernen zu können.

Dieses Bedürfnis konnte nie gestillt werden, und geholfen hat es auch nicht. Ganz im Gegenteil führte das unkontrollierte Stress-Essen dazu, dass Stefan sich nicht mehr konzentrieren konnte, sich niedergeschlagen fühlte und gar nicht mehr produktiv war.

Es geht so wohl vielen wie Stefan: wir essen zu viel und v.a. zu viel Ungesundes, wenn wir unter länger anhaltenden Stress geraten, wie z.B. in Prüfungsphasen. Für Stefan waren die Schuldgefühle und der Ärger über sich selbst der Anstoß dafür, mehrere Strategien auszuprobieren, um mit dem Stress-Essen endgültig aufzuhören und sich dadurch auch wieder besser zu fühlen. Einige von diesen Strategien waren erfolglos; andere dagegen  halfen ihm sehr, sein Gleichgewicht wiederzufinden und Frieden mit dem Essen zu schließen.

Letztendlich können seine Erfahrungen so zusammengefasst werden:

Stefans Strategien zur Bekämpfung von Stress-Essen

1.      Alle Snacks zum Tabu zu erklären (Spoiler Alert: geht gar nicht…)

Stefan war besonders genervt von all den Snacks und Süßigkeiten, die er dauern nebenbei aß. Also: einfach alles weglassen, gar nicht erst einkaufen. Das war wohl die unglücklichste Woche seines Lebens. Stefans Selbstkontrolle war völlig überfordert, weil er sich fleißig zur nächsten Prüfung vorbereiten musste und jetzt noch dafür sorgen, dass seine Ernährung perfekt ist.

Nach der ersten Prüfung konnte er diesen Entzug überhaupt nicht mehr ertragen und räumte bei der ersten Gelegenheit den gesamten Süßigkeitenschrank seines Freundes leer. Das Überessen endete in Frustration und führte schlicht zu mehr Unzufriedenheit, Unlust, Frust und Stress für Stefan.

Die nächste Prüfung war in 10 Tagen, und es war klar, dass er sich eine andere Strategie ausdenken musste.

2.      “Trigger-Foods” mit Alternativen zu ersetzen

Stefan machte einen Neuanfang und beschloss, sich doch einige Snacks zu erlauben. Er hatte gelesen, dass man nicht komplett auf Leckereien verzichten muss, sondern lediglich sogenannte „Trigger-Foods“ in großen Mengen vermeiden sollte und mehr auf gesunde stressabbauende Nahrungsmittel (die an Magnesium, Vitamin B und Omega-3-Fettsäuren reich sind) zu fokussieren.

Es fiel Stefan schon vor langer Zeit auf, dass je mehr Zucker und Fertiggerichte er zu sich nahm, desto mehr wollte er davon. Zurück in den Teufelskreis des Stress-Essens und der Zuckerabhängigkeit wollte Stefan auf keinen Fall und daher beschloss er, achtsamer zu sein und diesmal überwiegend zu richtigen Snacks zu greifen. Auch das hat er beim Einkaufen bereits erledigt: das heißt, es gibt zu Hause einfach nur noch richtige Snacks.

Er ging also in den Supermarkt und besorgte außer stressabbauende Lebensmittel (darunter Fisch, Geflügel, Vollkornbrot, Obst und Gemüse) verschiedene Arten von Snacks. Seine Strategie bestand darin, eine gesündere Alternative zu jedem seiner Lieblingssnacks zu finden, die in ihm ein übermäßiges Essen auslösen könnten (d.h. seine „Trigger-Foods“). So ersetzte Stefan Milchschokolade durch dunkle Schokolade mit wenig Zucker, Kartoffelchips durch geröstete Kichererbsen, Süßigkeiten durch Studentenfutter und Eis durch griechischen Joghurt.

Stefan fand keine passende Alternative für seine Lieblingskekse und kaufte ohne schlechtes Gewissen eine Packung. Nach der letzten Woche hatte Stefan verstanden, dass die übermäßige Einschränkung zu mehr Stress und schließlich auch zu mehr Stress-Essen führt. Er hatte es mit einem Pendel verglichen: Je mehr das Pendel auf die eine Seite schwingt (je höher die Einschränkungen), desto weiter muss es auf die andere Seite zum Ausgleich schwingen (Überessen oder „Binge Eating“).

3.      Das Umfeld klug gestalten

Die letzten drei Tage vor der Prüfung waren die schwierigsten. Stefan wurde immer müder und sein Stressniveau erhöhte sich immer weiter. Sein Körper fing wieder an, sich nach den üblichen Süßigkeiten und Fertiggerichten zu sehnen.

Aus Erfahrung wusste Stefan schon, dass Stress-Essen keine nachhaltige Lösung ist und nur zu noch mehr Stress und geringerer Produktivität führt. Also war das für den Endspurt keine Option. Eine extreme Einschränkung war ebenso nicht sinnvoll, weil sie zu noch mehr Überforderung führt.

Um die Anstrengung seiner Selbstbeherrschung zu minimieren, beschloss Stefan, seine Umgebung so zu gestalten, dass er keiner Versuchung widerstehen musste. Beim Einkaufen versuchte er, so wenig „Trigger-Foods“ wie möglich zu kaufen, um sie auch weiterhin nicht in großen Mengen zu Hause zu lagern. Natürlich brauchte er dafür Willenskraft, aber als er daheim war, war sein Heißhunger nach Süßem nicht mehr so stark. Und dann hatte er einfach keine Lust mehr, noch einmal einkaufen zu gehen und hatte natürlich viele andere Dinge zu erledigen.

Seit er sich durchgerungen hatte, seine Lieblingskekse nicht mehr in der Nähe seines Arbeitsplatzes aufzubewahren, schwand auch Verlangen danach. Aus den Augen, aus dem Sinn stimmte also auch hier für ihn.

4.      Wieso muss Stress eigentlich über Essen kompensiert werden?

In den letzten Tagen der Vorbereitung hatte Stefan für sich zusätzlich eingesehen, dass sich sein Stress-Essen nicht nur auf Fertiggerichte und Süßigkeiten beschränkte, sondern auch sein allgemeines Hunger- und Sättigungsgefühl stark beeinflusste. Der Hunger, den er verspürte, konnte jedoch nicht durch Essen gestillt werden. Egal welches. Es fiel ihm immer schwerer, mit dem Essen aufzuhören. Nach ein paar Packungen Studentenfutter, die er auf einmal gegessen hatte, beschloss Stefan, andere Strategien auszuprobieren, um übermäßiges Essen zu verhindern.

Er begann also, immer wenn er das Gefühl hatte noch mehr essen zu wollen, ohne dass dies auf körperlichen Hunger zurückzuführen war, sein ständig hungriges Gehirn auszutricksen.

Sofort nach dem Abendessen putzte er sich die Zähne. Dies signalisierte seinem Gehirn, dass die Essenspause vorbei war und er konnte endlich in Ruhe weiterlernen. Nachdem er gelesen hatte, dass unser Gehirn Durst mit Hunger verwechseln kann, begann Stefan, deutlich mehr Wasser zu trinken. Er merkte, dass er weniger hungrig war, wenn er viel trank, und sich außerdem besser konzentrieren konnte.

Stefan war klar, dass es auf Dauer nicht ausreicht, dieses emotionale Bedürfnis zu umgehen und den Körper ständig auszutricksen. Deshalb setzte er diesen Trick nur in Verbindung mit anderen Aktivitäten ein, die tatsächlich Stresshormone im Körper abbauen und zur Ausschüttung von Glückshormonen führen. Besonders hilfreich waren für ihn warme Dusche, ein kurzer Spaziergang nach den Mahlzeiten und 20-minütige Sportpausen. Das half ihm immer, sich zu beruhigen und lenkte ihn vom Prüfungsstress ab.

5.      Langeweile durch Kochexperimente zu vermeiden

Um den Heißhunger auf ungesunde Süßigkeiten weiter zu reduzieren, begann Stefan mit neuen Lebensmitteln und Rezepten zu experimentieren. So kaufte er zum Beispiel nicht einfach Zartbitterschokolade, die für ihn langweilig war, sondern eine Tafel dunkle Schokolade mit Chili und eine andere mit Meersalz. Der Geschmack war interessant, aber da es nicht besonders süße Zartbitterschokolade war, wollte Stefan nicht die ganze Tafel auf einmal essen.

Bei den Snacks begann er, neue Kombinationen von gesunden Snacks und Getränken auszuprobieren, um Langeweile zu vermeiden. Anstatt nur Obst und Gemüse zu snacken, fing Stefan an, Apfelspalten mit Erdnussbutter und Gemüsesticks mit verschiedenen Arten von Hummus oder Frischkäse zu essen.

Außerdem begann er, anstelle von einfachem Schwarztee mit Keksen, andere warme Getränke zuzubereiten, die er ganz unabhängig von Keksen genießen konnte. So entdeckte Stefan verschiedene Arten von Früchtetee mit Aromen, deren Existenz er nie erahnen konnte.

Er merkte auch, dass einige Arten von Kräutertee ihn gut beruhigen konnten, z.B. Kamillentee, und dass alle Getränke, die er selbst zubereitete, ihn satt machten, ohne dass er etwas Zusätzliches zu sich nahm. Dies ist eines seiner besten Rezepte für ein stressabbauendes Getränk: Pflanzenmilch erhitzen, einen Beutel Earl Grey, Zimt und Stevia hinzufügen. Voilà!

Was lehrt uns die Erfahrung mit dem Stress-Essen?

Wie für viele von uns war diese Prüfungszeit eine der schwierigsten Zeiten in Stefans Leben. Das Stress-Essen, das er noch nie zuvor erlebt hatte, machte die erste Hälfte der Prüfungszeit für ihn noch anstrengender. Er war sehr froh, dass er das Stress-Essen mit Hilfe seiner Strategien bewältigen konnte und am Ende alle Prüfungen sehr gut bestand. In dieser Zeit lernte er viel Neues, und zwar nicht nur über Neurowissenschaften (die er studierte), sondern auch über sich selbst, seinen Körper und seine Psychologie.

Stefan fühlte, dass sich seine Denkweise durch diese Erfahrung völlig veränderte. Früher verzehrte er in den Prüfungsphasen ganz bewusst übermäßig viele Süßigkeiten, weil er dachte, dass dies sein Gehirn stimulieren würde (Man denke auch an den Traubenzucker, der ja schon in der Schule gerne gegessen wurde). Als er die Kontrolle verlor und erlebt, wie sich Stress-Essen verselbständigen kann, erkannte er, dass diese Strategie für ihn nicht mehr funktionierte. So entwickelte er am Ende der Prüfungsphase auch seinen stärkeren Glauben an sich selbst und die Bereitschaft nachhaltig um sich selbst zu kümmern. Besonders in stressigen Zeiten, wenn er eigentlich das Gefühl hat, keine Zeit zu haben macht er ausgewogene Ernährung zur Grundlage seines Arbeitsverhaltens.

Stefan lernte auch, dass er sich besser konzentrieren und produktiver arbeiten konnte, wenn er sein Gehirn mit den richtigen Lebensmitteln versorgte, sich abwechslungsreich und achtsam ernährte, gut schlief und täglich spazierte. Er erfuhr über andere Wege Stress abzubauen und lernte positive Emotionen aus anderen Quellen zu kanalisieren, die gar nichts mit dem Essen zu tun hatten. Schließlich hörte er ganz auf, Essen als sein Hauptmittel zur Stressbewältigung zu sehen.

Zu guter Letzt verstand Stefan, dass er sich in Stresssituationen mit viel Selbstfürsorge und Selbstachtung behandeln und sich nicht mit restriktiven Ansätzen unter Druck setzen sollte. In manchen Momenten war es für ihn besser, auf Zucker zu verzichten und zu gesünderen Alternativen zu greifen, in anderen wiederum fühlte es für ihn besonders gut an sich ein paar „Comfort Foods“ zu gönnen. Für Stefan liegt der Schlüssel zu einer gesunden Stressbewältigung nicht im Streben nach einer perfekten Ernährung, sondern in der Schaffung einer Ausgewogenheit und Balance.