Zeitmanagement oder: wer bestimmt eigentlich was ihr wann macht?

Eines der Themen, die für fast alle meine Kunden ein Knackpunkt ist: das Zeitmanagement. Und dabei ist es vollkommen egal, ob ein Stipendium vorhanden ist und man eigentlich den ganzen Tag Zeit hätte oder ob es berufliche oder familiäre Verpflichtungen gibt, die die Arbeitszeit einschränken. Das subjektive Empfinden, wir hätten mehr schaffen sollen, das Schuldgefühl, nicht voranzukommen, die Angst, es nie zu schaffen, das kennen wie gesagt fast alle meine Kunden.

Was ist Zeitmanagement?

Dabei gilt mal ganz grundsätzlich: WIR KÖNNEN ZEIT NICHT MANAGEN. Eine Minute hat immer 60 Sekunden und ein Tag 24 Stunden. Und auch wenn wir heute extrem produktiv waren und eine Stunde “einsparen“ konnten, hat der Tag morgen keine 25 Stunden.

Und es geht auch gar nicht darum, jede 15 Minuten eures Tages zu verplanen. Es bedeutet, dass der sog. “Locus of control“, also der Punkt, an dem die Kontrolle über euer Leben sitzt IN euch liegt und ihr nicht das Gefühl habt, ständig fremdgesteuert irgendwelche Feuer löschen zu müssen. Ihr seid also selbstgesteuert, wenn euer Zeitmanagement stimmt. Gutes Zeitmanagement bedeutet für mich, dass ihr das Gefühl habt, zu wissen, was ihr wann zu tun habt, um euren Verpflichtungen zu entsprechen und ihr die Macht und Kraft habt euer Leben weitgehend im Griff zu haben. Gutes Zeitmanagement ist also eine Methode, um Stress zu bändigen (ein sog. “Copingmechanismus”).

Also: Was tun?

Zeit können wir also nicht managen - was wir aber tun können ist, uns und unsere Aufgaben oder Verpflichtungen zu managen. Das geht.
Aus meiner Erfahrung macht es aber keinen Sinn, eines der bekannten Zeitmanagement-Bücher amerikanischer Autor*innen zu kaufen und zu versuchen das 1:1 umzusetzen. Oder auf aktuellere agile Methoden umzuschwenken oder was auch immer für eine App zu verwenden. Aus meiner Sicht ist ein gutes Zeitmanagement zu entwickeln eher ein individueller Design-Prozess als eine Suche nach dem “perfekten“ fertigen Konzept.

Es gibt zwei Startpunkte, um das für sich zu entwickeln:

  1. Die Person:
    Dazu müssen wir uns selbst kennen(lernen), unseren Biorhythmus erkennen (wann bin ich müde? wann konzentriert?), mal unseren Gebrauch der Zeit dokumentieren und reflektieren, um zu sehen wie es denn jetzt tatsächlich, also objektiv betrachtet läuft und was schon gut ist bzw. was ich noch ändern möchte. Aber auch mal überlegen, welche “inneren Störungen” mich beim Arbeiten/Lernen heimsuchen und Ideen entwickeln, wie ich das kanalisieren kann.

  2. Die Situation:
    Wie sieht mein Leben aus? Welche Umstände prägen es? Wenn ich Kinder habe, sieht meine Arbeitszeit und sehen meine Nächte evtl. ganz anders aus wie wenn ich besagtes Stipendium habe und alleine wohne. Welche Menschen und Umstände in meinem Leben brauchen also meine Aufmerksamkeit und meine Zeit? Was ist mir hier wichtig? Welche Ressourcen und Menschen können mich in bestimmten Aufgaben unterstützen? Was kann und will ich evtl. delegieren?

Im Moment laufen einige online Coaching-Programme mit Masterstudierenden einerseits und mit Promovierenden andererseits. Wir arbeiten hier natürlich tiefgehender an diesem Anliegen und kümmern uns auch um Prokrastination, also dem Aufschieben von wichtigen Aufgaben. Was ich aber hier gerne kostenlos zur Verfügung stellen möchte, damit die Leser*innen hier bei Bedarf einen Anfang finden, sind zwei Dokumente:
1. Das ZeitLogBuch, indem ihr eure Zeitnutzung (realistisch) reflektieren könnt. Es geht nicht darum jede Minute zu protokollieren, aber wenn ihr es schafft mal 2 Wochen jeden Tag 2-3 mal euch Notizen zu machen, werdet ihr staunen, was ihr über euch lernt. Hier gibt es meist drei zentrale Erkenntnisse: a) eigentlich habe ich genug Zeit für meine Aufgaben, b) ich bin nicht so faul und unproduktiv wie ich immer denke und c) ich habe jede Menge Phantom-Arbeitszeit, in der ich z.B. auf den Monitor starre und nichts mache. Auf Basis solcher Einsichten ist es einfach, kleine aber effiziente Veränderungen einzubauen, wie z.B. vor einer Arbeitssitzung mal zu überlegen, was eigentlich dabei rauskommen soll, sprich was ist das anvisierte Produkt? Dann weiss ich nämlich auch, wann ich fertig bin. Viele setzen sich doch morgens hin und der Arbeitsauftrag lautet in etwa “Weiter mit der Diss.“ Das ist nicht sonderlich motivierend und findet auch kein Ende.

2. Die Dokumentation des eigenen Biorhythmus. Solange es von aussen wenig Strukturen gibt, so wie jetzt während der Pandemie, aber auch während einer bezahlten Studierphase, müssen wir uns diese Strukturen selbst geben. Wir brauchen sie, um uns sicher und zielorientiert zu empfinden. Wenn wir uns also schon selbst strukturieren müssen, dann doch bitte so, wie es für uns jeweils am besten ist. Viele Menschen gehören zu denen, die morgens oder vormittags ihr Tageshoch an Konzentration und Fokus haben. Nachmittags ab ca. 15 Uhr kommt bei ihnen nochmals eine erhöhte Konzentrationsphase. Andere erklären mir bereits bei der Terminabsprache “Bitte nicht vor 10 Uhr - da bin ich nicht wach.“ BEIDES IST VOLLKOMMEN OK - bitte stellt fest, wie das bei euch ist und macht Aufgaben, die volle Konzentration brauchen in den Hochphasen und die anderen ausserhalb.

Dies also als kleine Anregung und Start in ein besseres “Zeitmanagement“

Viel Erfolg wünsche ich euch und ein frohes Herz!!